
Vollversammlung Das Handwerk steht im Wind – und hält stand
Die Wirtschaft schwächelt, das Handwerk hält Kurs: Optimismus, klare Kante gegenüber der Politik und ein starkes Plädoyer für Zusammenarbeit und Nachwuchsgewinnung prägten die jüngste Vollversammlung der Handwerkskammer. Während andere Branchen vor allem durch internationale Marktrisiken und komplexe Transformationsprozesse gefordert sind, zeigt sich das regional verankerte Handwerk weiterhin robust.
„Vier von fünf Betrieben sind mit ihrer aktuellen Lage zufrieden. Rund 86 Prozent erwarten in den nächsten Monaten sogar noch bessere Geschäfte“, berichtete Hauptgeschäftsführer Axel Bettendorf mit Verweis auf die Frühjahrskonjunkturumfrage. Besonders gut läuft es gerade im Gesundheits-, Kfz- und Ausbauhandwerk. Nur in wenigen Bereichen wie Friseur-, Kosmetik- oder Lebensmittelhandwerk ist die Stimmung etwas verhaltener – doch auch hier sind die Perspektiven positiv. Die Auftragsbücher sind im Schnitt für 13 Wochen gefüllt.
Gemeinsam gestalten statt abwarten
Dass das nicht von selbst kommt, sondern mit klarem Kurs und aktivem Einsatz zu tun hat, wurde auf der Vollversammlung mehr als deutlich. Besonders beim Blick auf den neuen Koalitionsvertrag: Das Handwerk hatte im Vorfeld unter dem Motto „25 für 25“ seine Forderungen formuliert. Mit sichtbaren Ergebnissen, denn viele Punkte davon sind in das Regierungsprogramm eingegangen. „Das ist ein Erfolg für uns alle!“, betonte Bettendorf. „Steuererleichterungen wie die degressive Abschreibung von 30 Prozent, eine geplante Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028 sowie die Reduktion von Stromsteuer und Netzentgelten – das Handwerk wurde gehört.
Politik trifft Praxis
Nicht alles sei gelungen – ungelöste Fragen etwa bei den Sozialversicherungen und der Mittelstandsreform müssten weiterhin kritisch begleitet werden. Doch die Richtung stimme: „Wir bleiben wachsam“, so Bettendorf. Der Dialog mit der Politik bleibe ein großes Thema, betonte auch Kammerpräsident Bernd Elsen: „Um unsere Anliegen direkt platzieren zu können, ist es am besten, Entscheider persönlich zu kennen und ansprechen zu können.“ Mit der Landesregierung funktioniere das erfreulich gut, sagte er, etwa mit Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt. Die Politikerin nehme sich regelmäßig Zeit, die Forderungen des Handwerks aufzunehmen.
Weniger Bürokratie – mehr Unternehmertum!
Für bessere Rahmenbedingungen fordert das Handwerk seit geraumer Zeit den Abbau von Bürokratie. „Ich habe die Hoffnung, dass sich hier nach Jahrzehnten des Stillstands, vielleicht sogar des Rückschritts, endlich etwas tut. Die Politik begreift inzwischen, dass unsere Bürokratie nicht nur lästig ist, sondern solche Ausmaße angenommen hat, dass viele Unternehmer ihren Spaß an der Selbstständigkeit verloren haben – wegen überbordender Vorschriften und schleppender Verwaltungsprozesse“, sagte Elsen. „Wir fordern, die Belastung des Handwerks mit Bürokratie deutlich zu reduzieren! Dafür muss die staatliche Verwaltung schlank und digital aufgestellt werden!“
Der Kammerpräsident sprach ein weiteres wichtiges aktuelles Thema an: das schuldenfinanzierte Sondervermögen Infrastruktur. Aus diesem Topf sollen die Länder in den kommenden Jahren insgesamt 100 Milliarden Euro vom Bund erhalten, um in Infrastrukturprojekte wie Straßen und Schulen zu investieren. Rheinland-Pfalz stehen etwa 4,8 Mrd. Euro zu. „Wir drängen darauf, dass das Geld wirklich dazu verwendet wird, Lücken und Engpässe in der Infrastruktur zu beseitigen, besonders im Verkehrsnetz. Jetzt besteht die Chance, endlich zentrale Projekte zu realisieren, etwa den Lückenschluss der Autobahn A1.“ Nicht zuletzt seien die Maßnahmen aus dem neuen Sondervermögen Infrastruktur auch eine wichtige Konjunkturspritze für das angeschlagene Baugewerbe, so Elsen. „Jetzt muss das Geld aber auch fließen – in Lücken, die dringend geschlossen werden müssen. Ein Projekt wie der A1-Lückenschluss ist überfällig!“
ÜLU-Umlage statt Einzelbelastung
Eine Dauerbaustelle ist auch das Thema Ausbildung. Mehr als 600 Ausbildungsplätze sind aktuell im Kammerbezirk unbesetzt. Kleiner Lichtblick: Wenn auch nur um ein Prozent, so zeigt die Kurve der neuen Verträge Ende Mai im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ganz leicht nach oben. „Wir lassen nichts unversucht, um junge Menschen für das Handwerk zu begeistern“, berichtete Bettendorf. Mit Aktionen an Schulen, Messeauftritten, Workshops und Praktikumsangeboten ist die Kammer aktiv unterwegs.
Ein zentrales Projekt zur Ausbildungsförderung nimmt ebenfalls Fahrt auf: Die mögliche Einführung einer ÜLU-Umlage – also einer Umlagefinanzierung der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung – wurde intensiv diskutiert und soll nun weiterverfolgt werden. Ziel: Eine gerechtere Verteilung der Ausbildungskosten. „Wir wollen nicht, dass nur ein kleiner Teil der Betriebe ausbildet, alle Kosten tragen muss, aber nach der Ausbildung seine Gesellen nach Luxemburg, in die Industrie oder eben an andere Handwerksbetriebe verliert“, sagte der HWK-Chef. „Hier muss es zumindest einen gewissen finanziellen Ausgleich geben, und zwar durch die ÜLU-Umlage.“
Kooperation statt Einzelkampf
Ein zentrales Anliegen war auch die Zusammenarbeit innerhalb des Handwerks. Elsen brachte es auf den Punkt: „Wir sind nicht die Kontrolleure des Handwerks – wir sind Partner. Wir stehen unseren Betrieben mit Rat und Tat zur Seite.“ Auch untereinander sei Teamgeist erfolgversprechend. Gerade in Zeiten vernetzter Kundenwünsche seien Kooperationen gefragt: „Ein neues Bad, eine Heizung, eine PV-Anlage – solche Projekte funktionieren nur, wenn Gewerke Hand in Hand arbeiten. So können wir uns auch von Online-Plattformen abheben: mit Qualität und Fachverstand aus der Region.“
Mehr Frauen, mehr mit Abi, mehr Handwerk!
Zum Abschluss richtete Elsen einen Appell an alle Mitgliedsbetriebe: „Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, das Ansehen des Handwerks weiter zu stärken. Es braucht mehr junge Menschen, die sich für unser Tun begeistern – gerne mit Abitur, gerne auch mehr Frauen!“ Und daran ließ die Vollversammlung keinen Zweifel: Das Handwerk will gestalten, mitreden, vorangehen. Nicht jammern, lautet die Devise, sondern gemeinsam anpacken und an einem Strang zielen – mit dem klaren Ziel: starke Betriebe, starke Ausbildung, starkes Handwerk.